Mitglieder des Kölner Kreises

Prälat Dr. Otto Müller

Verbandspräses der KAB

Otto Müller stand als langjähriger Präses des Westdeutschen Verbandes der katholischen Arbeitervereine (KAB) mit Sitz im Kettelerhaus in Köln in enger Verbindung zu Nikolaus Groß. Mit ihm und Verbandssekretär Bernhard Letterhaus ging er gemeinsam den Weg in den politischen Widerstand gegen Hitler.

Otto Müller wurde am 9.12. 1870 in Eckenhagen im Bergischen Land als Sohn eines Lehrers geboren. Er hatte 2 Schwestern. Nach dessen Versetzung ins heutige Mülheim-Heißen besuchte er dort und in Essen das Gymnasium. Von 1889-1894 studierte er in Bonn Theologie und promovierte 1904 in Staatswissenschaften. Nach seiner ersten Kaplansstelle in Morsbach 1894 wurde er an die Hauptpfarre in Mönchengladbach versetzt. Dort übernahm er Ende 1896 die Leitung des dortigen Arbeiter-Vereines und fand damit seine lebenslange Wirkungsstätte. Müller wurde bei der in Mönchengladbach ansässigen Zentrale der westdeutschen Arbeitervereine Referent für Arbeiterfragen und soziales Vereinswesen. Sein Ziel war die Emanzipation der Arbeiterschaft. Dazu sollten die Arbeitervereine als kulturelle und politischen Bildungs- und Schulungsstätten den Arbeitern das geistige Rüstzeug dazu vermitteln.
Am 1. Januar 1906 wurde er Diözesanpräses der kath. Arbeitervereine der Erzdiözese Köln. Im Zusammenhang mit dem politischen Ringen um die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechtes in Preußen wurde er vom Kölner Erzbischof abgesetzt, der um Einflussverlust der Zentrumspartei fürchtete, wogegen Müller sich für die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes einsetzte. Prompt wurde er am 15. September 1917 von der KAB zum Verbandspräses der westdeutschen Arbeitervereine gewählt. Müller bewies damit, dass es ihm ernst mit der politischen und gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Arbeiter war.
1927 holte Müller - neben dem ehrenamtlichen Vorsitzenden und Reichstagsabgeordenten des Zentrums Josef Joos - Bernhard Letterhaus als Verbandssekretär und Nikolaus Groß als Redakteur der KAB-Zeitung in die Zentrale, die er 1929 nach Köln verlegte. Mit ihnen verteidigte er die Weimarer Republik gegen ihre Feinde von rechts und links.

Im 3. Reich

Die Machtergreifung Hitlers bedeutete für ihn und seinen Verband eine Zäsur. Die KAB stand nur unzureichend unter dem Schutz des Reichskonkordats und ihre Ortsverbände wurden in ihren Wirkungsmöglichkeiten eingeschränkt und schikaniert. Im Regierungsbezirk Münster wurde sie verboten. Müller organisierte gemeinsam mit seinen Mitarbeitern große Glaubensfahrten und Wallfahrten der KAB bei allen sich anbietenden Gelegenheiten, die den Charakter von Demonstrationen des Selbstbehauptungswillens, der Ablehnung der Gleichschaltung und damit der Opposition gegen die NS-Diktatur erhielt. Daher stand die KAB unter der Beobachtung des Geheimdienstes.
Zur Jahreswende 1934/35 musste die KAB-Zeitung von "Westdeutscher Arbeiterzeitung" in "Kettelerwacht" umbenannt werden. Im Leitartikel der ersten Ausgabe der Kettelerwacht (KW) am 5.1.1935 nahm Müller auf die erfolgreiche Mainzer Glaubensfahrt der KAB zum Grabe Kettelers Bezug, die erwiesen habe, dass der soziale Mainzer Bischof des 19. Jahrhunderts ein guter und anerkannter Wegweiser für die KAB sei. Das Vorbild Kettelers helfe auch in der jetzigen Zeit, sein "Mut zum Bekenntnis der Wahrheit, jedermann gegenüber. Falsche Rücksicht schien ihm Verrat. Den Irrtum nannte er rücksichtslos beim Namen..." Mit dieser Charakterisierung Kettelers beschrieb Müller die Aufgaben der KW und verdeutlichte, dass sie sich nicht von der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zurückziehen wollte. Er verteidigte das Recht auf Glaubensverkündung durch die katholische Presse. Als zentrale Aufgabe der KAB-Zeitung sah es an, den katholischen Mann und Arbeiter zu befähigen, im Glauben festzustehen und ihn auszurüsten für die Lebensaufgaben in Beruf, Familie und "deutscher Volksgemeinschaft". Daran wirkte er mit, indem er bis zum endgültigen Verbot der KW jede Woche einen Beitrag schrieb.
Schon 1935 wurde Müller von der Gestapo observiert, die ihn folglich als regimefeindlich einschätzte. Der Sicherheitsdienst klagte 1935, dass seine KAB eine "jesuitisch gerissene Handhabung" verbliebener konkordatärer Freiräume an den Tag lege.
Müller machte die Erfahrung, dass kirchliche Freiheit innerhalb des NS-Systems nicht möglich sei und kritisierte daher im August 1936 in einem Brief an den Kölner Kardinal Schulte die vorsichtige Politik des Episkopates: "Alle Kreise des katholischen Volkes sind der Meinung, daß es zu einer solchen Einengung nicht hätte kommen können, wenn der Widerstand der kirchlichen Autorität in aller Öffentlichkeit einheitlicher und sichtbarer gewesen wäre." Er hatte erkannt, dass kirchliche Freiheit nur als Freiheit vom NS-System, nicht innerhalb des NS-Systems, zu realisieren war. Diese Einsicht verstärkte sich beim endgültigen Verbot der KAB 1939.
1940 verfasste er unter dem Pseudonym Valentin Horn die Schrift "Ein Priester erzählt aus seinem und seiner Mitbrüder Leben", die den Unmut des SD erregte. In ihrem Juli-Bericht 1941 an das Propagandaministerium erläuterte der SD, dass Müller darin für eine politische Betätigung der KAB plädiere und ihre Verdienste so herausgehoben würden, dass ihre Beschränkung auf den religiösen Bereich als ungerecht erscheinen müsse.

Widerstand gegen Hitler

Müller beteiligte sich an dem Bemühen der Bischofskonferenz, die Männerarbeit abzustimmen. Seit Dezember 1933 war die KAB in einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Männerapostolat. Als dazu 1936 erstmals eine vom Bischof von Fulda koordinierte Jahreskonferenz einberufen wurde, nahmen Müller oder in seinem Auftrag Joos oder Groß daran bis zum letzten Treffen im Juli 1944daran teil. Dabei entstanden über den Jesuitenpater Alfred Delp Kontakte zum Kreisauer Kreis.
Doch wichtiger wurden für Otto Müller und die KAB Verbindungen zum Widerstandskreis um den ehemaligen deutschnationalen Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Goerdeler, der um sich außer Konservativen auch sozialdemokratische und katholische Arbeitervertreter sammelte. Zu ihnen zählte neben dem Kölner Christlichen Gewerkschafter Jakob Kaiser auch Bernhard Letterhaus.
Schon 1939 war eine indirekte Verbindungslinie zu Militärkreisen entstanden. Jakob Kaiser und Letterhaus nahmen Beziehungen zu Generaloberst Oster in der Abwehr auf, der schon vor 1939 an Putschplänen beteiligt war. Der ebenfalls oppositionelle General von Hammerstein vermittelte 1941 eine Begegnung zwischen Otto Müller und Generaloberst Ludwig Beck, dem Zentrum des militärischen Widerstandes. 1943 berichtete Otto Müller vom Besuch eines "sehr hohen Herrn vom Militär", der sich bei ihm nach Organisationszustand sowie Schulung und weltanschaulicher Haltung der Mitglieder erkundigt habe und ihm erklärte: "Es könnte mal etwas eintreten, daß wir in vielen Orten Menschen brauchten, auf die wir uns verlassen können, die die Leitung der Gemeinde in ihre Hand nehmen und die richtigen Leute für die Verwaltung sowie für Ruhe und Ordnung aussuchen können. Wir müssen natürlich für diesen Fall vorbereitet sein. Ich kann also in einem solchen Fall auf Sie und Ihre Organisation zurückgreifen." In diesem Zusammenhang ist im Dezember 1943 Müllers Forderung an eine bevorstehende Konferenz der Diözesanpräsides der KAB zu sehen: "Der wichtigste Gegenstand der Beratungen müßte sein: Was geschieht, wenn plötzlich der Krieg ein Ende nimmt, von Seiten unserer Vereine, besonders den Sekretariaten? Ob man nicht für diesen Fall schon die ersten Veröffentlichungen vorbereiten könnte?" Müllers Verbindungen zum Widerstand in Berlin und Kreisau führten dazu, dass sich katholische Vertreter beider Kreise in Köln trafen und ihre Meinungsverschiedenheiten besprachen. So fand im Februar/März 1943 in Köln eine Aussprache zwischen Delp, Müller, Letterhaus, Groß und Kaiser statt.
Zur Besprechung der Personalfragen für Westdeutschland kam Goerdeler im Herbst 1943 nach Köln und traf sich mit Müller Groß, Letterhaus, Kaiser und anderen. Nach einer kontroversen Debatte an zwei Abenden konnte eine nicht überlieferte, provisorische Liste beschlossen werden. Weiterhin ging es bei dem Treffen um das künftige Verhältnis von Kirche und Staat. Müller unterstützte auch die Aktivitäten und damit wohl auch Zielvorstellungen Kaisers finanziell. Auch billigte er das Attentat als unvermeidlich und wartete ungeduldig auf die Beseitigung Hitlers. So bezeugt der Nachfolger Müllers H. J. Schmitt in seinen Erinnerungen: "Letterhaus, Kaiser, Groß, Dr. Müller waren eingeweiht. Sie wußten um die Pläne des Widerstandes..."

So überrascht es nicht, dass auch Müller nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 nach der Verhaftung von Letterhaus und Groß ebenfalls in der 2. Septemberhälfte 1944 festgenommen wurde. Er starb am 12.10. 1944 im Staatskrankenhaus der Polizei zu Berlin, bevor es zu einem Prozess kam.
Ein solcher Prozess wäre den Nationalsozialisten sehr willkommen gewesen, denn sie planten laut einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Kassiber von Alfred Delp vom 14.1.1945 einen reinen Kirchenprozess "mit Müller, Groß, Delp, der Beziehungen der Kirche zum 20.7. ergeben sollte. Diese Absicht gelang nicht, da Müller, der mit Goerdeler zu tun hatte, starb und mir keine Beziehungen zum 20.7. nachzuweisen waren."

Otto Müller und seine Mitstreiter starben, weil sie sich für ein freiheitliches Christentum in einem Rechtsstaat einsetzten. Der Paderborner Diözesanpräses der KAB, Caspar Schulte, bescheinigte ihnen: "Sie gingen ihren Weg in der Bereitschaft, einen qualvollen Tod um der Freiheit willen auf sich zu nehmen".

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Vera Bücker

Literatur: